Sonntag, 19. Mai 2013

Werter Herr Stock, ...


Meine hochgeschätzte Leserschaft,

am heutigen Tage widme ich meine Gedanken einmal mehr dem politischen Geschehen, nachdem sich die Mehrzahl der vergangenen Posts Themen widmete, die man bevorzugt im Terrain der Philosophen wird verorten können. Konkret richte ich ein paar wenige Zeilen an der werten Herrn Stock aus dem Titel, seines Zeichens Chefredakteur des Handelsblatts Online. 

Er wiederum reagierte auf die Flut von aufgebrachten Leserbriefen engagierter AfD-Sympathisanten, die ihn nach Publikation eines Interviews mit Prof. Lucke erhielt, in dem der Redakteur sein Bestes gab, ihn in die düstere Ecke des Rechtsextremismus zu manövrieren. 

Meine Feststellungen zu der Replik des Herrn Stock im Folgenden:


Sehr geehrter Herr Stock,

nachdem ich beim unverblümten Durchscrollen meines Facebook-Newsfeeds durch Verlinkung eines Freundes, den ich als politisch kompetent zu empfinden pflege, auf Ihre Stellungnahme stieß, war mein Interesse an derselben groß und meine Aufmerksamkeit geschärft. In letzter Zeit hatte ich die Lektüre des Handelsblatts, vornehmlich auf elektronischem Wege, zu schätzen gelernt und da ich das Aufbegehren der AfD geistesgegenwärtig verfolge, war ich gespannt, wie sich denn der Online-Chefredakteur äußern würde.

Im Nachhinein musste ich feststellen, dass ich die Erwartungen, die ich klammheimlich an luzide Überlegungen und kritische Stellungnahmen ihrerseits hatte, a priori als unrealistisch hätte abtun können. Ihre Äußerungen bewegen sich im üblichen Fahrwasser unserer Massenmedien und entbehren des Anspruches, den mündige Bürger und Sie selbst an sich stellen sollten.

Nachdem meine bisherigen Äußerungen argumentativ natürlich zurückhaltend waren und als sanfter Prolog fungieren sollen, möchte ich meine Einschätzung gern anhand zweier Feststellungen untermauern.

Zum einen scheint Ihnen und Ihrem Blatt die poltische Weit- und Klarsicht kein Anliegen zu sein. Für jedermann einseh- und nachlesbar sprach Prof. Lucke von Personen, die gar nicht „rechts“ seien und aus potenzieller Frustration rechtsextrem, d.h. die NPD, wählen könnten. Für diese, so Lucke, sei es besser, sie wählten eine mit professoralem Sachverstand unterfütterte Partei als eine, die aus bekannten Gründen lieber nicht im Bundestag gesehen wird.

Selbstbewusst und stolz verweisen Sir auf Ihren Kollegen, der aus diesem Statement die kesse und kokette Zeile zimmerte: „Lucke setzt darauf, dass er am rechtsextremen Rand nach Wählern fischen kann.“ Dass diese Aussage im direkten Vergleich mit der Originalaussage, in der Prof. Lucke von Personen, "die eigentlich gar nicht rechts sind", spricht, offensichtlich realitätsfremd ist, scheint Sie nicht weiter zu bekümmern.

Das ließe zweierlei Schlüsse zu:

  1. Ihre politische Expertise reicht nicht dazu, eine Unterscheidung zwischen rechts und rechtsextrem vorzunehmen. Die politische Orientierung "rechts" ist ebenso legitim wie die politische Ausrichtung "links". In beiden Fällen sind es die Extreme, die nicht wünschenswert sind und sich in unmittelbarer Nähe zur Illegitimität und Illegalität tummeln.
  2. Sie skandieren bewusst mit Falschaussagen, um die Zahl der Klicks auf Ihrer Seite zu maximieren und horchen damit dem Ruf des Gewinns während Sie sich kurzerhand Ihrer politischen Verantwortung entledigen.


Man kann die Überlegung Prof. Luckes logisch nachvollziehen. Die Prämisse lautet: eine Person ist von unserer aktuellen Regierung und Parteienlandschaft derart enttäuscht, dass beide via Stimmabgabe für eine nicht im Bundestag vertretene Partei sanktioniert werden sollen. Die potenzielle Menge der Alternativ-Parteien umfasst in diesem Fall sowohl die AfD und die NPD wie auch die grauen Panther, die Violetten, usw.
Prof. Lucke verengt diesen Kreis nun exemplarisch auf seine Partei (die AfD) und aufgrund ihrer medialen Dominanz und den ständigen Vorwürfen, die AfD sei rechtsextrem angehaucht und stünde ihr nahe, die NPD. Für vernunftbegabte Menschen folglich ein nachvollziehbarer Schritt.

Tritt der exemplarische Protestwähler am Wahltage nun vor die Parteienliste und sieht sich mit den Optionen konfrontiert, würden sie dann die Wahl der AfD oder der NPD bevorzugen, Herr Stock? Prof. Lucke antwortet klar und naturgemäß: die AfD. Da ihr wortgewandter Redakteur diese lobenswerte Präferenz ins Negative wendet (er spricht von Wählerfischen am rechtsextremen Rand, eindeutig negativ konnotiert), zeigt er sich mit dieser Präferenz augenscheinlich unzufrieden. Seine scheint der anderen Option zu gelten und welche das ist, lässt sich den vorigen Ausführungen entnehmen.

Das zweite Manko ihrer Gedankenführung ist ebenfalls logischer Natur und betrifft die Aussage, die AfD rekrutiere bereits Anhänger aus dem rechten Milieu (wie Sie es nennen) bzw. dem rechtsextremen (was Sie meinen). Den Beleg dafür sehen Sie im Vergleich Ihrer Berichterstattung mit Joseph Goebbels.

Was daran falsch ist, stelle ich im Folgenden dar: derjenige, der den Vergleich zu Goebbels anstellte, wollte mit demselben Kritik üben. Joseph Goebbels ist für ihn folglich negativer Bedeutung, denn wäre er positiver Notation, würde er mit diesem Vergleich keine Kritik üben.

Eine Person, die rechtsextremer Gesinnung ist, würde für Joseph Goebbels allerdings aller Wahrscheinlichkeit Bewunderung hegen und seine (Kon-)Notation positiv empfinden.

Folglich kann der Kritisierende, der sich des (zugegebenermaßen unglücklich gewählten) Goebbels-Vergleiches bediente, keine Person rechtsextremer Gesinnung gewesen sein, sondern es muss sich um einen kritisch denken Menschen gehandelt haben, der die Machenschaften des Propagandaministers zurecht als durchdringend negativ empfindet.

Da Sie Ihren Text locker flockig mit einer persönlichen Erkenntnis schließen, möchte ich dasselbe tun. Meine besteht am heutigen Tage darin, dass auch ein Online-Chefredaktuer einer bislang renommierten Zeitung weder politisch bewandert noch zur logischen Argumentation befähigt sein muss. Und das, werter Herr Stock, made my day.

Dienstag, 23. April 2013

Lyrik ahoi!


Die Gedanken, die ich heute an Sie, den werten Leser, herantragen möchten, befinden sich in einem tendenziell weit gefassten Verhältnis zum aktuellen Zeitgeschehen. Man könnte beinahe fabulieren, sie tangierten dasselbe nur peripher. Da diese Redewendung bisweilen aber abgedroschen klingt, würde ich mich freuen, sollten Sie sie rasch wieder vergessen.

Wie dem auch sei, das heutige Erzeugnis lässt sich treffsicher der Lyrik zurechnen. Einer Gattung, der ich bislang nur bedingt habe etwas abgewinnen können, war ich doch stets der Auffassung, sie schnüre den Dichter respektive Autor in das enge Korsett des Vers-Maßes, das ihn in seiner Freiheit beschneide, die drolligsten und weitestreichenden Formulierungen zu Papier zu bringen.

Interessant wird die Lyrik erst, wenn man sie 1. aus der Sicht des Schreibenden und infolgedessen 2. als Herausforderung begreift. Diese besteht unschwer nachvollziehbar in der Schwierigkeit, auf das Wort, das sich soeben noch ganz hervorragend am (Teil-)Satzende machte, den passenden Reimpartner zu finden. Als sei diese Hürde nicht hinreichend schwer zu nehmen, muss zeitgleich die semantische Komponente Berücksichtigung finden. Durch diese Begebenheit wird der Fundus der Reim-Aspiranten auf einen Schlag erheblich reduziert.

Die Endorphin-Ausschüttung, die einsetzt, hat man einen geeigneten Bewerber auf das Amt des Reimpartners gefunden, ist infolgedessen ganz erheblich und bewegt sich in ähnlichen Dimension wie der Sofortgewinn einer Apfeltasche beim McDonald's-Monopoly. Dass die Suchtgefahr dementsprechend überwältigend ist, bedarf wohl keiner weiteren Explikation.

Nach diesem schlichten Prolog nun schnurstracks zum Corpus Delicti:


Reimen

Reimen, so mag man denken, sei eine große Kunst,
dieser Idee bin ich mir mehrheitlich bewusst.
Doch geht man unverfroren nun ans Werk,
wird die Schwierigkeit zum Zwerg.
Worte finden sich ganz von allein,
vor Glück sieht man sich gewillt zu schrei'n.
Bloß sollte man das lieber lassen,
es könnt' manch Nahem das Gesicht erblassen.

Damit ist die erste Strophe schon verfasst,
und die Reime wirken wie ohne Ballast.
Fast so als möchten sie gen Himmel streben,
doch muss man hier als Realist erwägen:
Goethe, Rilke und all die Komparsen
sind im Angesichte dieser Reime
wohl eher noch geneigt zu spaßen,
angeregt womöglich durch ein Gläschen Weine.

Als Vorbild aber dürfen sie sehr gerne dienen,
auch wenn ihnen bess're Reime sicherlich einfielen.
Übung macht bekanntlich nur den Meister,
deshalb dicht' ich fleissig weiter.
Womöglich auch mit wechselnder Thematik,
zugunsten der empfundenen Dramatik.
An dieser soll es keinen Mangel geben,
ganz ähnlich wie im echten Leben.

Eine vierte Strophe war gar nicht angedacht,
nun wird sie trotzdem angebracht.
Wieso, das kann mir keiner sagen,
drum werd ich auch nicht fragen.
Ein Gedicht neigt sich dem Ende,
und nun zu wissen wie man's flockig schliesst
muss ich gesteh'n, wenn ich's bedenke,
fänd' ich reichlich impulsiv.

Dass der letzte Reim nicht zum Schliessen taugt,
erkenn' ich mit erhob'nem Haupt.
Drum wird in Strophe Nummer fünf
dieser trickreich komponierten Symph-
onie ein Bindestrich zum Einsatz kommen,
damit die Reime besser rollen.
Nun sag ich's nur, weil ich's wirklich sagen muss:
An dieser stelle ist ganz unumwunden Schluss.


Samstag, 23. Februar 2013

Kritik der gemeinschaftlichen Individualität


Wir schreiben das Jahr 2013. In demselben den 23. Februar, heuer ein Samstag. Ein flüchtiger Blick auf meine skandinavisch, d.h. in diesem Fall zahlenlos designte Armbanduhr zeigt ihren großen Zeiger vor demjenigen Strich weilend, der die 10 repräsentiert, während der kleine kurz nach der Markierung für 20 Minuten respektive 4 Stunden Rast hält. Kurz: es war 16.09 Uhr, mittlerweile ist es 16.11 Uhr mitteleuropäischer Winterzeit, es kostete ein wenig Zeit, den Tatbestand in Worte zu fassen.
Vor lauter Muße und Freizeit hielt ich es für eine schickliche Idee, meine neuesten Gedanken via Tastatureingabe greif- und lesbar zu machen. Diese drehen sich, seitdem mich des gestrigen Abends aus winterlich bewölktem Himmel ein Geistesblitz ereilte, um das Thema das Individualismus. Ein Stichwort, das als solches Seltenheitswert allenfalls in kommunistisch regierten Ländern reklamieren darf, in unseren Längen- und Breitengraden ist die Individualisierung als sinnstiftendes Lebens-Credo beinahe unentbehrlich wie es ein mit putzig plüschigen Ohren versehener Bumper für das Mode-Accessoire und Teilzeit-Telefon iPhone 5 ist.
Wenn sich die neuesten automobilen Vehikel-Erzeugnisse der im zuverlässigen Wechsel mal von Rekordabsatzzahlen freudentrunkenen, mal von Euro-, Europa- und Lasagne-Krisen bedrohten Autobauer nicht nur wie warme Semmeln, sondern auch wie geschnitten Brot verkaufen sollen, werden die findigen Marketing-Maßnahmen rasch um den Zusatz der Individualisierung ergänzt. Hippe Hipster und hoppe Hopper fahren darauf genauso ab wie der noch immer total flippige Mittvierziger, der sich schon wieder (traurig, aber die Firmenwagenregelung verlangt es so) seinen neuen unternehmensfinanzierten Edel-Cruiser konfigurieren muss.
Individualismus ist also allseits als erstrebenswert gebrandmarkt und empfunden und dementsprechend populär.
Aufgrund auch für Nicht-Akademiker greifbarer Mechanismen bedeutet Popularität i.d.R. gesteigertes Interesse und explodierende Begeisterten- und Mitmacher-Zahlen. Ein Phänomen, das besonders gut beim mittlerweile derart investigativ und intensiv beobachtet und beschriebenen Hipster greift, dass man über ihn und sein Vorkommen bereits mehr weiß als über das Wahlprozedere des nach allgemeinem Mehrheitswunsch zukünftig afrikanisch, jung, dynamisch und mit sonnenkönigähnlichem Charisma begüterten Papstes.
Auch des sog. Hipsters Wunsch, sein Lebensinhalt, seine Berufung und Bestimmung ist die Erhöhung der eigenen Existenz, des irdischen Strebens durch Individualität. Dummerweise ist der Hipster so toll individuell, dass ganz viele fidele Geister es ihm gleichtun und ebenfalls die Wollmützen von Oma Traude und Holzfällerhemden von Onkel Konrad, der vor 14 Jahren nach Kanada emigrierte, weil dort die Elch-Dichte schön hoch und die Mensch-Dichte so schön gering ist, aus dem Schrank holen.
Dazu noch ein paar fruchtige Akzente, ein Apfel-Phone in der Hosentasche, eine Orange auf dem Jutebeutel und ab zum Optiker für die chice Hornbrille!
Nun bin ich leider auch der allzu verlockenden Kurz-Karikatur des gemeinen Hipsters verfallen, ich bitte meine Ausschweifung mit Milde zu verzeihen.
Das sich nun einstellende Problem muss jedem Individualismus-Aspiranten das Fürchten lehren: weil der Hipster als solcher den Schritt in die Individualität so großartig gemeistert hat, folgen ihm die Anhänger in Scharen.
In Großstädten und in den heiligen Hallen der juvenilen Wissbegierde, im gängigen Alltagssprech als "Universität" verunglimpft, ist es tatsächlich so weit, dass der sich bei C&A im WSV einkleidende und modische Sneakers bei Aldi erwerbende Frühzwanziger mehr Wiedererkennungspotenzial besitzt, als es jeder einzelne der Hipster-Meute tut.
Natürlich ist diese Symptomatik ein ähnliche bei sonstigen Mainstream-Flüchtigen: Hip  Hopper, Satanisten, Punks und wie sie sich alle scherzhaft nennen, sie alle erkennt man, schlurft ein Vertreter einer der genannten Disziplinen über die Zeil, als der jeweiligen Randgruppe zugehörig.
Er wird folglich nicht als Individuum wahrgenommen, sondern als einer Gruppe, einer Denkschule im besten, einem kollektiven Säufer- und Frisörabstinenzler-Bündnis im schlechtesten Falle zugehörig aufgefasst. Die Individualität also, die er durch bewusst extravagantes Styling erwerben wollte, geht in der Menge derer unter, die das gleiche Verständnis von Individualität entfalten.
Man kann diese Beobachtung relativ zügig zu einer griffigen Formel verdichten: Wenn es für den Stil eines Menschen, und damit ist nicht nur sein modischer gemeint, auch sein Stil zu denken, zu agieren fällt darunter, bereits einen Oberbegriff bzw. eine Gattungsbezeichnung gibt, dann verteilt sich die Individualität des einzelnen auf zigtausend Menschen, die mit dem gleichen Stile ihre Andersartigkeit zelebrieren möchten.
Tatsächlich einzigartig ist derjenige, für dessen Auftreten kein einordnender Begriff parat steht. Denn Begriffe sind ihrer Natur nach, anders als Namen, darauf ausgerichtet, eine Mehrzahl von Gegenständen gedanklich greifbar zu machen. Beispiel "Baum": mit diesem Begriff kann ich jeden Baum dieser Welt adressieren. Ebenso wie ich jeden Tisch als "Tisch" beschreiben kann, kann ich jeden kunstvoll schwarz-weiß geschminkten Satanisten als "Satanisten" begreifen.
Nur welches Begriffes bediene ich mich, wenn mir dreirädrig ein Mundharmonika spielender, Basecap tragender Maurer entgegenradelt, der seine Beine in eine lila-aubergin karierte Chino-Hose hüllt und seinen Oberkörper mit einem Woll-Janker aus Vorkriegszeit einkleidet? Da wird das Begriffs-Sortiment flugs an seine Grenzen stoßen und man muss den Guten wohl mit offenem Mund und gezückten Schultern passieren lassen, ehe man sich aus dem Adjektiv-ABC ein paar Attribute abgezählt hat, die den Herren approximativ beschreiben.
Wer diese Begriffs-Not zu provozieren vermag, der darf sich seiner Individualität gewiss sein.


Donnerstag, 1. November 2012

Höre sich das einer an!

Meine werten Damen- und Herrschaften (um es genderpolitisch korrekt zu formulieren),

nachdem die letzten Wochen doch mehrheitlich durch Absenz frischer und unverbrauchter Ein- und Beiträge bestachen, scheint mir die Zeit gekommen, einen Text einzustreuen, der sich zwar nicht der im Untertitel dieses Blogs in Aussicht gestellten Zeitgeschehens-Kritik annimmt, dafür aber durch unbarmherzige Praxisnähe und ungeschönte Betroffenheit seine Berechtigung zur hiesigen Publikation erschlich.

Wer sich nun beim ersten Blick auf den unter dieser Textzeile in Anführungszeichen befindlichen Text am Kopf kratzt und fragt, wer denn der liebenswürdige Herr Paliwal sei, dem sei hier ausgeholfen: es handelt sich um den justament amtierenden CEO der Top-Marke Harman/Kardon.

Soeben dünkt mir, dass die Positionierung des obigen Absatzes als sinnwidrig betrachtet werden kann, denn wer von oben nach unten liest, und da lässt sich sicherlich mit einem Prozentsatz jenseits der 90 % kalkulieren, wird diesen Absatz samt Paliwal-Erörterung lesen, bevor er den von Anführungszeichen garnierten Text erblickt. Wie dem auch sei, errare humanum est, und da es in diesem Fall auch noch humoristicum ist, bleibt's stehen wie's ist!

Los geht's!

"Sehr geehrter Herr Paliwal, der Sie das enorme Erbe des Herrn Harman und des Herrn Kardon übernehmen,

ich habe Sie über folgende Begebenheit zu unterrichten, die mir  ihre Marke nicht im besten Lichte zu erinnern half.

Und zwar beteiligte ich mich vor nicht allzu langer Zeit an der bundesweit angelegten Vorausfahrer-Aktion der neuen Mercedes Benz A-Klasse, die das juvenile, dynamisch flippige Image des Vehikels zu konstituieren helfen sollte.
Da ich mich seit Menschengedenken als Benz-Fan zu bekennen haben, wurden bei mir offene Türen eingerannt und Überzeugungsarbeit hätte keine geleistet werden brauchen. Die (Vor-)Freude war umso größer, als mir nach Fragen der Motorisierung (Benzin/Diesel) und Getriebe (Schaltung/Automatik) das Top-Modell, namentlich A 250, zugedacht wurde.
Zur Top-Ausstattung des Top-Models scheint eine Sound-Anlage ihres Hauses zu gehören. Da der Name, ähnlich wie ihr Produkt, durchaus klangvoll ist, ging ich auch hier mit den besten Erwartungen ans Werk.
Nachdem der Bass-Regler, wie es sich für einen Burschen meines (Zielgruppen-)Alters von 21 Jahren geziemt, auf Maximum justiert wurde, spitzte ich die Lauscher und hoffte auf Bekehrung durch ihre Tieftöner. Doch Pustekuchen!
Es wurden Bässchen in den Innenraum gehustet. Von herausragender Klangqualität oder Bassfülle oder womit auch immer Sound-Produkte durch die Bank beworben werden keine Spur. Auch mein Co-Pilot zeigte sich irritiert und half mir bei der später erfolglosen Suche nach Top-Bass.

Das frivol frische Image der A-Klasse trug Kratzer davon.

Daher meine Anregung: wenn Sie einen Pkw mit Klangspendern ausstatten, der vornehmlich an postpubertäre junge Menschen, darunter auch Männer, gerichtet ist, empföhle sich eine adäquate Bass-Rationierung. Denn was möchte man in diesem Alter mehr als Bass, wenn nicht vllt. gerade ein Loch im Auspuff, um den elitären Sport-Sound zu simulieren.

In diesem Sinne und mit bestem Gruße,

Lucidior"

Montag, 10. September 2012

To be is not to say!


Wer kennt sie nicht: die Max Mustermänner dieses Erdenrunds. Sie sitzen uns gegenüber, wenn wir es am meisten erwarten: Morgens halb neun in der S-Bahn, hinterm Banktresen in Pichelsbütz an der Sprabbel, um in illustrer Runde mit Gundel und Manfred während der Überweisung des Jahresbeitrags an den Schildkrötenschutzverein Ost e.V. das letzte Gemeindefest Revue passieren zu lassen oder auf  der örtlichen Zulassungsstelle, wo die erste Dienstviertelstunde damit verbracht wird, überzuckerten Kaffee in der Lieblings-Diddl-Tasse zuzubereiten. Sie tragen Frisuren, die sich bewährt haben und in Läden geschoren werden, die vorzugsweise ambitioniert anglizistische Namen wie "Hair Depot" oder "Basic Style" tragen. Trendy, provokant und mit 10 Euro auch noch bezahlbar.
Der Anzug wird auf Raten bei C&A abgestottert, 2 Nummern zu groß und die Hemden reichen von khaki bis in den schönsten orange-Bereich.
Diesem Heer aus Haargel-Virtuosen steht ein weiteres gegenüber. Dasjenige der Individualisten, der Freigeister, der Kreativen Sichselbstverwirklicher nämlich. Eine nähere Beäugung dieser in den Mainstream gestolperten Sozialexoten scheint mir nicht vonnöten. Nur ganz kurz: bevorzugt trifft man sie im Starbucks-Kaffeehaus an der Ecke an, ausgestattet mit mindestens drei Apple-Produkten der neusten Generation, eingekleidet wird sich bei Urban Outfitters und gearbeitet wird in einer Werbeagentur, die ihren Räumlichkeiten in alten Fabrikhallen mit den chicsten Bauhaus-Klassikern zu neuem Pepp verhilft. 
Ich möchte mich im vollen Bewusstsein der damit verbundenen Risiken und Nebenwirkungen zu der These versteigen, die Menge der Mustermänner sei Teilmenge derer, die sich aus eben dieser Menge abheben und die kühnsten Höhen des Besonderen, des Extravaganten erklimmen möchten. Wem bei diesen Superlativen der Herzschrittmacher in den Galopp verfällt, dem ist auf anderem Wege beizukommen: wer möchte denn nicht etwas Besonderes sein? Wer möchte sein Leben bewusst beschränken auf Büroarbeit von 9 bis 17 Uhr, "mal was trinken gehen", wenn der Kontosaldo am Ende des Monats noch nicht tiefrot aufblitzt und im Block wohnen, der 232 Familien beherbergt?
Wem bei dieser Frage nun potentielle Durchschnitts-Aspiranten einfallen, dem kann ich auch nicht helfen.

Nach diesem bewusst kurz gehaltenen und auf das Notwendigste reduzierten Prolog nun aber zum Kernthema dieses spontanen Elaborats: "to be is not to say."
Augenscheinlich lässt sich also eine Dichotomie von "to be" und "to say" eröffnen.
Es gibt diejenigen, die besonders sind, die in St. Tropez Bentley fahren und lakonisch sagen, so sei das eben, weil ihnen der Anspruch fehlt, ihre Besonderheit in Worten auszudrücken.
Während andere in Bruchbüttel Böhse Opelz reparieren, beim Käffchen in der MIttagspause aber betulich beteuern, sie seien der derbste Draufgänger aus Mannis Kneipe, wenn sie mit 70 km/h und drei Bier intus nach 3 Stunden Disco-Aufenthalt und Tanzflächeninspektion um die Kurve hetzen.

Man könnte an dieser Stelle von der subversiven Macht des Faktischen sprechen. Wer im SLS AMG vorfährt, wer sich auszudrücken weiss, dass Rilke wie ein Legastheniker erscheint, wer sich kleidet, dass Lagerfeld um Rat bei der Auswahl des richtigen Kragens fragt, der muss bei der nächsten Cocktail-Runde nicht betonen, dass er einen Lebenslauf deluxe abliefern wird; es könnte bereits aufgefallen sein.
Schmerzlich in Erinnerung bleibt mir unweigerlich ein Werbebanner, das mir während eines Flanier-Spazierganges zu nächtlicher Stunde in die Augen stach. Auf eine Schaufensterscheibe geleimt war es und die Lettern besagten: " Mode für Individualisten."
So flippig abseits der Norm das die Kundschaft rekrutieren soll, so sehr wird es die gewünschte Klientel verschrecken. Wer explizieren muss, was er darstellt, gesteht sich das Scheitern seiner Darstellung ein.
Wahre Individualisten, solche die mit Einstecktuch und grüner Chino bei Nespresso einen Latte ordern und nach getanem Genuss via Maserati in ihr Penthouse gondeln, werden doch nicht in einen Laden schlendern, der eigenständig den Rang des Individualisten-Ausstatters beansprucht.
Wer es nicht schafft, die Message des Besonderen über das zu vermitteln, worüber er sie zu vermitteln sucht, bedient sich der Sprache. Wo nicht erkenntlich ist, dass die Kleidung individuell ist, womit sie es faktisch nicht ist, der bedient sich der Sprache und reklamiert für sich, was er zu liefern nicht imstande ist.

Der Reiz liegt im Ungewissen. Wer sagt, er sei besonders, zerstört unweigerlich die Aura, den Charme, das Flair, das ihn durchaus mag umgeben haben. Jede Explikation macht Ausdruck zunichte. To be is not to say!